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trägt; in der prunkenden Behausung hier gibt es eine Frau, die der
Ruf der Wohltätigkeit und Tugend ziert. Dies Weib segnet man,
den armen jungen Menschen verflucht man! Der Verbrecher ist
mit Verwerfung geschlagen worden, ich erfreue mich der allge-
meinen Wertschätzung; ich habe den größten Anteil an seiner
Missetat, in vielem aber ist er an dem Guten beteiligt, das mir so
viel Ruhm und Dankbarkeit einbringt. Ich, eine Betrügerin, habe
die Verdienste, er, ein Märtyrer seiner Verschwiegenheit, ist mit
Schande bedeckt! In einigen Stunden werde ich sterben und sehe
einen ganzen Bezirk um mich weinen, eine ganze Provinz meine
Wohltaten, meine Frömmigkeit und meine Tugenden feiern; wäh-
rend er inmitten der Beleidigungen, angesichts einer ganzen in
Haß auf die Mörder zusammengeströmten Bevölkerung gestorben
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ist! Sie, meine Richter, sind duldsam, aber in mir selber höre ich
eine gebieterische Stimme, die mir keine Ruhe läßt. Ach, Gottes
Hand, die weniger sanft ist als die Ihre, hat mich tagtäglich ge-
schlagen, wie um mich zu benachrichtigen, daß nicht alles ge-
sühnt sei. Meine Fehler werden nur durch ein öffentliches
Geständnis gebüßt. Er ist glücklich, er, der Verbrecher, der sein
Leben mit Schmach im Angesichte von Himmel und Erde dahin-
gegeben hat. Und ich, ich täusche noch die ganze Welt, wie ich
die menschliche Gerechtigkeit getäuscht habe. Nicht eine Huldi-
gung gab es, die mich nicht beleidigt, nicht ein Lob, das nicht
mein Herz verbrannt hätte. Sehen Sie in der Ankunft des Gene-
ralprokurators nicht einen Befehl des Himmels, der mit der
Stimme, die mir »gestehe« zuruft, in Einklang steht?«
Die beiden Priester, der Kirchenfürst wie der einfache Priester,
diese beiden großen Leuchten, hielten die Augen gesenkt und
bewahrten Schweigen. Durch die Größe und die Resignation der
Schuldigen allzu bewegt, konnten die beiden Richter kein Urteil
aussprechen.
»Mein Kind,« sagte der Erzbischof nach einer Pause, sein schö-
nes, durch die Sitten seines frommen Lebens kasteites Haupt er-
hebend, »Sie gehen über die Gebote der Kirche hinaus. Der
Ruhm der Kirche besteht darin, ihre Dogmen mit den Sitten jeder
Zeit in Einklang zu bringen, denn die Kirche ist dazu da, in Ge-
sellschaft der Menschheit durch die Jahrhunderte der Jahrhunder-
te zu schreiten. Die geheime Beichte hat nach ihren Vorschriften
die öffentliche Beichte ersetzt. Diese Umwandlung hat der neue
Glaube bewirkt. Die Leiden, die Sie fortwährend erlitten haben,
genügen. Sterben Sie in Frieden: Gott hat Sie sehr wohl gehört.«
»Steht das Gelübde der Verbrecherin nicht in Einklang mit den
Gesetzen der anfänglichen Kirche, die den Himmel um so viel
Heilige, Märtyrer und Bekenner, wie es Sterne am Firmament
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gibt, bereichert hat?« fuhr Véronique mit Heftigkeit fort. »Wer
hat geschrieben: : Bekennet einer dem anderen.9 Taten das nicht
die unmittelbaren Schüler unseres Heilandes? Lassen Sie mich
öffentlich, auf den Knien meine Schande bekennen. Das soll die
Wiedergutmachung meines Unrechts gegen die Welt, gegen eine
durch meinen Fehler geächtete und beinahe erloschene Familie
sein. Erfahren muß die Welt, daß meine Wohltaten keine Opfer-
gabe sind, sondern eine Schuld, die ich bezahle. Wenn später,
nach mir, irgendein Anzeichen den lügnerischen Schleier, der
mich bedeckt, herunterreißen würde? ... Ach, dieser Gedanke
führt meine letzte Stunde schneller herbei.«
»Berechnungen sehe ich darin, mein Kind,« sagte der Erzbischof
ernst. »In Ihnen hausen noch sehr starke Leidenschaften; die ich
erloschen wähnte, ist ...«
»Oh, ich schwöre es Ihnen, Hochwürden,« sagte sie, den Prälaten
unterbrechend und ihm entsetzensstarre Augen zeigend, »mein
Herz ist so geläutert, wie es das eines schuldigen und reuigen
Weibes sein kann: in meinem ganzen Sein wohnt nur noch der
Gedanke an Gott!«
»Lassen wir der himmlischen Gerechtigkeit ihren Lauf, Hoch-
würden,« sagte der Pfarrer mit bewegter Stimme. »Vier Jahre
lang widersetze ich mich diesem Gedanken, er ist die Ursache der
einzigen Meinungsverschiedenheiten, die zwischen meinem
Beichtkinde und mir bestanden haben. Ich habe bis auf den
Grund dieser Seele geschaut, die Erde hat kein Recht mehr auf
sie. Wenn die Tränen, die Seufzer, die Zerknirschung, die nun
schon fünfzehn Jahre währt, auf einem, zwei Wesen gemeinsa-
men Fehl gelastet haben, so dürfen Sie gewiß sein, daß diesen
langen und schrecklichen Gewissensbissen nicht die mindeste
Sinnenfreude innegewohnt hat. Seit langem mischt die Erinne-
rung ihre Flammen nur noch mit denen der glühendsten Reue. Ja,
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viele Tränen haben ein so großes Feuer ausgelöscht. Ich bürge,«
sagte er, seine Hand über Madame Graslins Haupte mit tränen- [ Pobierz caÅ‚ość w formacie PDF ]
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